Die Häufigkeit psychischer Erkrankungen nimmt rapide zu, wie auch aktuelle Zahlen bestätigen: laut einer Erhebung der Barmer GEK waren 2010 bereits 8,5% der Versicherten von einer psychischen Störung betroffen. Dieses schlägt sich auch in der Anzahl der Fehltage aufgrund psychischer Störungen nieder – laut dem Bundesarbeitsministerium lag die Anzahl 2001 deutschlandweit bei 33,6 Millionen Fehltagen, 2010 waren es schon 53,5 Millionen. Der Anteil an allen Fehltagen stieg damit von 6,6% auf 13,1 %. Auch was das vorzeitige Ausscheiden aus dem Arbeitsleben betrifft, spielen psychische Erkrankungen eine maßgebliche Rolle – mit 39,3 % sind sie der Hauptgrund bei den Fällen von verminderter Erwerbsfähigkeit und das mit steigender Tendenz.
Quelle: http://www.tagesschau.de/inland/fruehrente100.html
Der einzelne Menschen, bei dem sich eine psychische Störung entwickelt, sieht sich nun nicht nur mit dem individuellen Leid, das aus seiner Erkrankung resultiert, konfrontiert, sondern steht häufig auch einigermaßen ratlos vor dem Problem einer angemessenen Behandlung. Häufig ist eine psychische Erkrankung mit einer Odyssee auf der Suche nach einer angemessenen Therapiemöglichkeit und häufig oft auch mit monatelangen Wartezeiten auf einen geeigneten Therapieplatz verbunden. Dabei ist es naheliegend, dass eine verspätete oder unzureichende Behandlung einer psychischen Störung das Risiko für eine Ausweitung oder eine Chronifizierung der Probleme erhöht und die langfristige Aussicht auf erfolgreiche Behandlung verringert. Auch ist zu berücksichtigen: je länger die Phase einer Arbeitsunfähigkeit andauert, desto geringer ist die Wahrscheinlichkeit, dass ein Betroffener wieder in das Erwerbsleben zurückfindet.
Auch für die Arbeitgeber und die Krankenkassen stellt die starke Zunahme psychischer Erkrankungen entsprechend ein massives Problem dar: neben den direkten Behandlungskosten, die zwischen 2002 und 2008 um fast ein Viertel auf insgesamt 28,7 Milliarden Euro gestiegen sind, resultieren erhebliche indirekte Kosten aufgrund von Produktivitätsverlusten durch Arbeitsausfälle und durch die geminderte Leistungsfähigkeit psychisch erkrankter Menschen. Eine Studie der Europäischen Kommission veranschlagte bereits 2005 die Gesamtkosten psychischer Erkrankungen mit etwa 3 bis 4 Prozent des BIP.
Ziele des Fallmanagement der privaten Krankenversicherungen
Verschiedene private Krankenversicherer tragen diesem Umstand Rechnung und versuchen durch ein individuelles Fallmanagement auch gerade Versicherten mit psychischen Erkrankungen eine individuelle Hilfestellung anzubieten und binden HPC dabei in diesen Prozess ein. Ziel eines solchen sogenannten „psychologischen Fallmanagement“ ist es, Versicherte möglichst frühzeitig hinsichtlich geeigneter Therapiemöglichkeiten zu beraten und sie zu begleiten bis sie in geeignete regionale Versorgungsstrukturen integriert sind. Dieses erscheint unter verschiedenen Aspekten wichtig: psychische Störungen bleiben häufig lange unerkannt, zum Teil werden sie falsch diagnostiziert und dementsprechend auch nicht angemessen behandelt. Werden zu einem frühen Zeitpunkt die Weichen richtig gestellt, können dem Versicherten damit u.a. lange ergebnislose Behandlungsversuche in Therapieverfahren oder mit Therapeuten erspart werden, die entweder für die Problematik oder auch für den Versicherten als Menschen nicht geeignet erscheinen. Je früher fachlich beraten und in adäquate Therapie vermittelt werden kann, desto größer sind die Chancen den Gesundungsprozess zu verkürzen und einer Chronifizierung vorzubeugen.
Neben der Beratung ist eine weitere wichtige Funktion im Rahmen des Fallmanagements, dass Versicherte bei der Suche nach einem geeigneten Therapieplatz unterstützt werden. Dies bietet aufgrund der bestehenden Versorgungssituation mit langen Wartezeiten einen entscheidenden Vorteil für die Versicherten, da sie durch eine fachkundige Vermittlung früher Zugang zu adäquaten Therapien erhalten. Die Versicherten werden zudem solange begleitet, bis sie eine für sie vertrauensvolle Therapiebeziehung zu dem vermittelten Therapeuten aufgebaut haben und die Therapie in zeitlich angemessener Frequenz stattfindet.
Werden Psychotherapeuten in das Fallmanagement der Versicherungen integriert, so stellt dies für alle Beteiligten eine „Win-win-Situation“ dar – für die Patienten bedeuten optimierte Behandlungswege verkürzte Krankheits- und Behandlungszeiten und einen möglichst schnellen Rückgewinn von Lebensqualität. Eine ganzheitliche Betrachtungsweise der vorliegenden Symptome und der Lebenssituation des Betroffenen ist hier maßgeblich und zielführend, um ineffektive Therapien zu vermeiden und Ausfallzeiten zu verkürzen. Hinzu kommt, dass durch einen direkten individuellen Kontakt zwischen dem einzelnen Versicherten, den Behandlern und dem Kostenträger die Bearbeitungsdauer von Leistungsansprüchen deutlich verkürzt werden kann, so dass „bürokratische Belastungen“ reduziert werden.
Für die Kostenträger liegen die Vorteile auf der Hand: auch wenn ein individuelles Fallmanagement zunächst kurzfristig eine Investition bedeutet, resultieren aus verkürzten Behandlungs- und Arbeitsunfähigkeitszeiten erhebliche Kosteneinsparungen.
Unterstützungsmöglichkeiten im Fallmanagement:
Im Rahmen des psychologischen Fallmanagement bestehen verschiedene Unterstützungsmöglichkeiten durch beratende Psychotherapeuten:
Neben der telefonischen Beratung und Therapievermittlung, kann eine „Situationsanalyse vor Ort“ bei dem Versicherten sinnvoll sein. In dem Gespräch erfolgt zum einen eine diagnostische Einschätzung der psychischen Symptome unter Einbezug der individuellen Belastungsfaktoren und auch vorhandener Ressourcen. Zum anderen erhält der Versicherte eine Einschätzung, bezüglich möglicher therapeutischer Alternativen (z.B. ambulante vs. stationäre Therapie, Verhaltenstherapie vs. tiefenpsychologisch fundierte Therapie). Nachdem gemeinsam mit dem Versicherten die für ihn passende Therapie ausgewählt worden ist, hilft ein Psychologe dabei, konkret den Therapieplatz zu organisieren und begleitet den Versicherten bis dieser die Therapie angetreten und den Eindruck gewonnen hat, dort für sich angemessen profitieren zu können. Ebenso haben Versicherte, bei denen der Gesundungsprozess stagniert, die Möglichkeit, sich von einem Psychotherapeuten bezüglich des therapeutischen Prozesses und potentieller Therapiealternativen beraten zu lassen.
Eine weitere Möglichkeit besteht darin, dass beratende Psychotherapeuten in den bereits eingeleiteten Behandlungsprozess mittels der „ambulanten Nachsorge nach stationärer Therapie“ integriert werden. So können Versicherungen ihren Versicherten, die sich bereits in stationärer Therapie befinden und bei denen deutlich ist, dass eine weitere therapeutische Behandlung notwendig ist, eine Unterstützung durch einen beratenden Psychologen anbieten. In diesem Prozess soll der Transfer von stationären Behandlungsfortschritten in das individuelle Lebensumfeld des Betroffen sichergestellt werden. Die Versicherten werden unter Einbezug der stationären Therapeuten bei der Therapiesuche unterstützt, so dass möglichst keine oder nur kurze Wartezeiten entstehen. Die Psychotherapeuten von HPC können hier auch durch flexible und dem Einzelfall angepasste Kurzinterventionen Wartezeiten überbrücken und einen nahtlose therapeutische Begleitung sicherstellen, damit bereits erreichte Fortschritte stabilisiert werden.
Versicherungen haben zudem die Möglichkeiten sich Rat hinsichtlich der beruflichen Wiedereingliederung zu holen („Wiedereingliederungsempfehlung“) bzw. der Versicherte kann sofern die berufliche Wiedereingliederung nicht ein Kernthema der Therapie darstellt, durch einen beratenden Psychologen bei der Rückkehr in den Arbeitsalltag begleitet werden („Behandlungs- und Rehabilitationsbegleitung“).
Fallbeispiel: Herr M. befindet sich bereits seit 1 ½ Jahren in ambulanter Psychotherapie als er aufgrund seiner psychischen Störung arbeitsunfähig wird. Die Arbeitsunfähigkeit dauert an und er bekommt durch seine Versicherung das Angebot, sich im Rahmen des Fallmanagements psychologisch-psychotherapeutisch beraten zu lassen. Da Herr M. den Eindruck hat, dass sich seine psychische Gesamtsituation eher verschlechtert, nimmt er dieses Angebot an und ein Psychologe und Psychotherapeut nimmt telefonischen Kontakt auf. In einer eingehenden Beratung wird – auch nach Rücksprache mit dem behandelnden Therapeuten – deutlich, dass die ambulanten Therapiemöglichkeiten ausgeschöpft sind und dass jetzt eine stationäre Therapie angezeigt ist. Herr M. wird unter Berücksichtigung des bisherigen therapeutischen Geschehens und der Gesamtsymptomatik und äußeren Lebenssituation (die sich hier als konflikthaft herausstellt) bei der Klinikwahl beraten und eine stationäre Aufnahme wird eingeleitet. Während Herr M. in der Klinik ist, hat er immer die Möglichkeit, sich bei Schwierigkeiten und Fragen bei dem beratenden Psychologen zu melden. Diese Möglichkeit nimmt Herr M. zum Ende des stationären Aufenthalts in Anspruch, da er durch die stationären Therapien und Ansätze für sich den Eindruck gewonnen hat, dass er ambulant einen Therapeuten – und Therapierichtungswechsel anstrebt. Nach ausführlicher Analyse wird Herr M. gecoacht, mit seinem ambulanten Therapeuten an einer Lösung zu arbeiten. In dieser Zusammenarbeit stellen sowohl Herr M. als auch der behandelnde Therapeut fest, dass für die weiteren Therapieschritte ein Wechsel sinnvoll erscheint und ein ordentlicher Therapieabschluss kann stattfinden. Gleichzeitig versucht der Psychologe einen Therapeuten zu finden, der Herrn M. in seinem jetzigen Krankheitszustand sinnvoll unterstützen kann. Da Herr M. am ehesten eine spezielle therapeutische Kompetenz (während des Klinikaufenthalts hat er von einer hypno-systemischen Sichtweise profitiert) benötigt, dauert die Suche nach einem Therapeuten und es muss auch eine 6-wöchige Wartezeit überbrückt werden. Diese Überbrückung erfolgt mithilfe von lösungs- und ressoucenaktivierenden Gesprächen, die an den stationären Prozess anschließen, von dem Herr M. profitiert hat. Als ein Therapeut gefunden ist, wird Herr M. telefonisch solange begleitet, bis er den Eindruck hat, dass sowohl Therapeut als auch Therapieverfahren für ihn richtig sind. Ein vorläufiger Abschluss der Begleitung durch den Psychologen findet statt mit der Möglichkeit für Herrn M., sich bei Fragen und Problemen nochmals an den Psychologen wenden zu können. Dies geschieht nach ca. 3 Monaten als Herr M. sich auf die Rückkehr an seinen Arbeitsplatz vorbereitet. Der Psychologe berät hier Herrn M. und auch den Therapeuten bezüglich der Möglichkeiten der beruflichen Wiedereingliederung. Da Herr M. mit Hilfe seines Therapeuten die berufliche Wiedereingliederung gut vorbereitet und nach einem 2 monatigen Prozess wieder vollzeitig arbeitsfähig ist, wird die Begleitung im Rahmen des Fallmanagements an dieser Stelle beendet. 4 Das psychologische Fallmanagement integriert die Interessen des Versicherten und die der Versicherungen: Der betroffene Versicherte wünscht sich eine angemessene Behandlung und bestmögliche Unterstützung bei der Gesundung. Für die Versicherung ist es wichtig, Ressourcen optimal und zielführend einzusetzen, indem Behandlungen optimiert werden und eine dauerhafte Rückkehr an den Arbeitsplatz erfolgreich gelingt.