Psyche sieht man nicht – wie können Führungskräfte psychisch belastete Mitarbeiter erkennen?

„Gestresst“, „überlastet“, „erschöpft“, „ausgebrannt“ – so oder ähnlich wird der Zustand umschrieben, wenn Mitarbeiter infolge einer permanenten Anspannung die Belastungsgrenze erreicht oder sogar überschritten haben. Um das zu verhindern, gilt es für Führungskräfte, eine anhaltende Überlastung von Mitarbeitern möglichst frühzeitig zu erkennen. Das ist nicht so schwer. Man benötigt dafür vor allem eine gute Beobachtungsgabe und etwas Zeit, um kritische Veränderungen wahrzunehmen.

Die Psyche als „Gebilde“ ist nicht zu sehen. Ob ein Mensch unbeschwert und zufrieden ist oder ob er mit einer anhaltenden Belastung zu kämpfen hat, ist jedoch an seinem Verhalten zu erkennen. Im Arbeitsalltag sind längerfristig beobachtbare Verhaltensänderungen das wichtigste Kennzeichen für eine anhaltende Überlastung eines Mitarbeiters. Diese Veränderungen können in verschiedenen Bereichen auftreten:

  • im Arbeits- und Leistungsverhalten
  • im Sozialverhalten
  • im emotionalen Verhalten
  • im Alltagsverhalten

„Der war früher ganz anders…“, „so kenne ich die nicht…“: Wenn Sie untypische, seltsame oder nicht nachvollziehbare Verhaltensweisen bei einem Mitarbeiter wahrnehmen, sollten Sie aufmerksam werden. Dies können Anzeichen dafür sein, dass der Mitarbeiter über das bewältigbare Maß hinaus gefordert ist und deutliche Erschöpfungssymptome zeigt.

Was kann die Führungskraft tun? Zweierlei: Veränderungen wahrnehmen und Prozesse einleiten!

Frühzeitig Veränderungen wahrzunehmen und daraufhin Prozesse einzuleiten ist der erste und wichtigste Schritt! Führungskräfte müssen etwaige Verhaltensänderungen eines Mitarbeiters nicht bewerten oder interpretieren. Das sind diagnostische Leistungen, die der Arzt vornehmen muss.

Welche Verhaltensänderungen können auftreten?

1. Auffällige Veränderungen im Arbeits- und Leistungsverhalten

  • Häufige Fehlzeiten
  • Geringes Durchhaltevermögen
  • Häufige Pausen
  • Unpünktlichkeit, mangelnde Disziplin
  • Leistungsschwankungen oder -minderungen
  • Nachlassen der Konzentrationsfähigkeit und des Arbeitstempos
  • Erhöhung der Fehlerquote, vermehrte Flüchtigkeitsfehler, Häufung von Qualitäts- mängeln
  • Vermehrte Kontrollen für ausgeführte Arbeiten – auch bei Routinetätigkeiten
  • Unzuverlässigkeit
  • Nachlassende Flexibilität
  • Vergesslichkeit, Nachfragen auch bei Routinetätigkeiten
  • Arbeiten werden nicht mehr zu Ende geführt
  • Vermeidung von Aufgaben, z.B. Vermeiden von Tätigkeiten mit Kundenkontakt oder sozialen Kontakten

2. Auffällige Veränderungen im Sozialverhalten

  • Rückzug von den Kollegen bis hin zum Außenseitertum / Eigenbrötlerei
  • Hohe Empfindsamkeit, Mitarbeiter/-in nimmt Kritik auffallend persönlich
  • Starke und schnelle Gereiztheit; Mitarbeiter/-in reagiert aggressiv z.B. auf Kritik
  • Starkes Misstrauen
  • Unangemessene Schuldzuweisungen
  • Plötzliche Wutausbrüche oder heftige unvermittelte Vorwürfe
  • Distanzloses Verhalten, kein Respekt vor den Grenzen der Anderen
  • „Seltsames“ Verhalten
  • Negative Erwartungen gegenüber Kollegen und Vorgesetzten
  • Stets wiederkehrende Konflikte
  • Abwertendes oder idealisierendes Verhalten
  • Übertrieben unterwürfiges oder hilfesuchendes Verhalten
  • Penetranz, Nerven der Kollegen und Vorgesetzten

3. Auffällige Veränderungen im emotionalen Verhalten

  • Niedergeschlagenheit; Mitarbeiter/-in wirkt hoffnungslos und verzweifelt
  • Resignation; Mitarbeiter/-in kann nicht mehr lachen, wirkt emotional leer
  • Erschöpfung; Mitarbeiter/-in wirkt müde, energielos und schlapp
  • Euphorie; Mitarbeiter/-in reagiert übertrieben überschwänglich, enthusiastisch
  • Ängste, starke Befürchtungen
  • Mitarbeiter/-in zeigt sich schnell überfordert und angestrengt
  • Stimmungsschwankungen; Mitarbeiter/-in bricht bei geringem Anlass in Tränen aus
  • Mitarbeiter/-in wirkt dünnhäutig, zerbrechlich und empfindlich
  • Minderwertigkeitsgefühle; Mitarbeiter/-in zeigt sich öfter unsicher und ohne Selbst- vertrauen
  • Äußern von Lebensüberdruss
  • Zahlreiche körperliche Beschwerden

4. Auffällige Veränderungen im Alltagsverhalten

  • Schwankungen in der körperlichen Hygiene; deutliche Nachlässigkeit bei der Körperpflege
  • Vernachlässigung des Äußeren; z. B. auffällige Nachlässigkeit bei der Kleidung
  • Nervöses Zucken (z. B. Augenlid)
  • Erhöhter Alkoholkonsum; Medikamentenmissbrauch; auffälliges Essverhalten
  • Einschränkungen in der Mobilität (z.B. keine Bahnfahrt, kein Auto mehr)

Betont werden muss hier noch einmal, dass es um Veränderungen geht und nicht um einen persönlichen Charakterzug eines Menschen, den er schon immer gezeigt hat. Es ist nicht die Aufgabe von Führungskräften, psychische Erkrankungen zu erkennen oder gar zu diagnostizieren. Aber es gehört zur Führungsaufgabe, – anhaltende Fehlbelastungen im Arbeitsumfeld zu erkennen und – Mitarbeiter mit anhaltenden Verhaltensveränderungen am Arbeitsplatz wahrzunehmen, anzusprechen und ggf. Interventionen einzuleiten.

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