Achtsamkeit – nur ein Modetrend oder hilft das wirklich?

Gastautorin: Sabine Keßel, www.kölner-institut-für-achtsamkeit.de

Unser Geist ist ständig aktiv – und meistens beschäftigen wir uns entweder mit Geschichten aus der Vergangenheit oder mit Plänen für die Zukunft. Dabei verlieren wir den Kontakt zum gegenwärtigen Moment. Und genau darum geht es bei der Übung von Achtsamkeit: die Aufmerksamkeit auf das Hier und Jetzt zu lenken.

„Achtsamkeit ist eine besondere Form der Aufmerksamkeitslenkung, wobei die Aufmerksamkeit absichtsvoll und nicht-bewertend auf das bewusste Erleben des gegenwärtigen Augenblicks gerichtet ist“. So beschreibt Jon Kabat Zinn, der Begründer des MBSR*-Programms Achtsamkeit. Klingt gut – aber was sich erst mal leicht anhört ist im Alltag gar nicht so einfach.

Den Geist beruhigen

Das kennen Sie sicher: Sie wollen nach einem anstrengenden Tag entspannt die letzten Sonnen-strahlen genießen und zur Ruhe kommen. Doch nach kurzer Zeit fällt Ihnen das unangenehme Gespräch mit dem Chef wieder ein. „Wieso hat der heute eigentlich so komisch reagiert? Hat er nicht letztens auch schon eine blöde Bemerkung gemacht? Ach, morgen muss ich den Bericht ja noch fertig schreiben. Puh, wie soll ich das schaffen? Das wird eng. Susanne muss ich anrufen. Was soll ich morgen kochen? Muss noch einkaufen…“ Der Geist ist springlebendig, er hüpft permanent von einem Gedanken zum nächsten. Wir reflektieren problematische Situationen oder Streitgespräche, machen uns Sorgen, schmieden Pläne oder gehen To-Do-Listen durch. In der Geschäftigkeit des Alltags kommen wir dann selbst am Feierabend nicht zur Ruhe und fühlen uns getrieben und erschöpft.

Mit der Übung von Achtsamkeit versuchen wir die Aufmerksamkeit auf die Gegenwart zu richten. Dabei nehmen wir eine innere Beobachterposition ein, treten innerlich einen Schritt zurück und nehmen wahr, was aufkommt, ohne zu bewerten oder etwas verändern zu müssen. Auf diese Weise kann der Geist sich beruhigen und es tritt nach und nach innere Ruhe ein. So wie trübes Wasser in einem Glas sich klärt, wenn man es ruhig hinstellt und der Schmutz auf den Boden des Glases sinken kann.

Vom Aktiv-Modus in den Sein-Modus

Dafür ist es notwendig, aus dem Hamsterrad der Aktivität und des ständigen Tuns herauszutreten und immer wieder für eine Zeit innezuhalten. Normalerweise sind wir damit beschäftigt, irgendetwas zu erledigen, irgendetwas zu erreichen und irgendwo hin zu gelangen. Was verändert sich, wenn wir loslassen und nur im gegenwärtigen Moment verweilen? Für viele Menschen ist das sehr ungewohnt und eine fast beunruhigende Vorstellung. „Das ist nichts für mich“ höre ich immer wieder von Teilnehmern in Achtsamkeitsworkshops „Da werde ich total unruhig.“ Gerade wenn man mit der Übung beginnt, bemerkt man, wie voll der Kopf ist und wie unruhig oder angespannt der Körper. Das fühlt sich dann erst mal nicht angenehm an. Aber wenn ich mich entschließe, einfach sitzen zu bleiben und zu beobachten, was in mir vorgeht, dann kehrt langsam Ruhe ein.

Die Aufmerksamkeit lenken

Bei der Übung der Achtsamkeit lenkt man die Aufmerksamkeit auf einen bestimmten Punkt, zum Beispiel zum Atem. Wenn Sie es mal ausprobieren wollen, dann setzen Sie sich entspannt hin, schließen Sie die Augen und richten Sie Ihre Aufmerksamkeit auf Ihren Atem. Nehmen Sie den Atem so wahr, wie er gerade fließt, ohne dass Sie irgendetwas an ihm verändern müssen. Bleiben Sie für 2 Minuten so gut es geht bei der Beobachtung Ihres Atems. Wenn Sie feststellen, dass Sie abgelenkt werden, zum Beispiel durch Gedanken, Bilder oder Phantasien, dann bemerken Sie, was Sie da gerade beschäftigt, und richten dann Ihre Aufmerksamkeit wieder auf Ihren Atem. Wichtig ist: es gibt dabei (erst mal) nichts zu erreichen – nicht einmal Entspannung! Achtsamkeit ist keine Entspannungsübung, sondern eine Hinguck-Übung!

Wenn Sie das regelmäßig tun, dann trainieren Sie Ihren „Achtsamkeitsmuskel“, das heißt, es fällt Ihnen leichter, die Aufmerksamkeit zu lenken und an einem bestimmten Punkt zu halten. Gedanken, Gefühle und Körperempfindungen können sie beobachten, ohne sich darin zu verwickeln.

Und was nützt das?

Zum Thema von Achtsamkeit gibt es mittlerweile ca. 2700 Studien, zahlreiche Wirkungen konnten nachgewiesen werden, so zum Beispiel:

  • Höhere Konzentrationsfähigkeit und Fokussierung
  • Stärkung des Gedächtnisses
  • Bessere Emotionsregulation
  • Hemmung automatischer Reaktionen, Impulsregulation
  • Höheres Empathievermögen
  • Stärkung der emotionalen Intelligenz und Intuition
  • Schnellere leichtere Beruhigung des vegetativen Nervensystems
  • Stärkung des Immunsystems
  • Vorbeugung vor stressbedingten Erkrankungen

Achtsamkeit wird mittlerweile auch im medizinischen und psychologischen Bereich eingesetzt:

  • zur Prophylaxe und Behandlung von Burn-Out-Erkrankungen
  • für akut und chronisch kranke Menschen und vor allem für Schmerzpatienten
  • zur Rückfallprophylaxe bei Depressionen und Angststörungen

Wie kann man das lernen?

Sie können zunächst ganz klein anfangen, indem Sie die 2-Minuten-Übung immer wieder mal am Tag machen – einfach innehalten und die Aufmerksamkeit auf den Atem richten. Wenn Sie intensiver üben wollen, ist es ratsam, einen Kurs zu besuchen. MBSR*-Kurse beispielsweise bieten Achtsamkeit in einer nicht-ideologischen Form frei von Religion oder „esoterischem“ Überbau an.

Achtsamkeit ist eine Schlüsselkompetenz für die Persönlichkeitsentwicklung und eine gesunde Selbstführung. Und mittlerweile erkennen auch immer mehr Unternehmen das Potenzial von Achtsamkeit für ihre Mitarbeiter und Führungskräfte und bieten Kurse im Rahmen der Personalentwicklung oder des BGM an.

*MBSR: Mindfulness Based Stressreduction nach Jon Kabat-Zinn

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