Das Gute an negativen Emotionen

Sprachlich unterscheiden wir zwischen positiven und negativen Emotionen.
Positive Emotionen sind angenehm, freudvoll und tun uns richtig gut. Negative Emotionen sind unangenehm bis schmerzhaft und schwer auszuhalten.
Dies könnte jetzt dahingehend missverstanden werden, dass negative Emotionen „schlecht“ sind und damit tunlichst vermieden werden sollten.
Doch so einfach ist es nicht.

Die vermeintlich „schlechten“ Emotionen haben ihr Gutes!
Die Natur hat sich bei allen Gefühlen – so wie bei unseren Bedürfnissen – etwas gedacht, sie sind alle wichtig und wertvoll und haben einen Sinn. Der Organismus verschleudert keine wertvollen Ressourcen für sinnlose Reaktionen.
So können negative Emotionen auch Auslöser für Wachstum und Entwicklung sein, indem sie Veränderungsprozesse in Gang setzen, die helfen aus einer Krise herauszukommen. Damit haben negative Emotionen einen enormen Anpassungswert.
Dass negative Emotionen zunehmend bekämpft, tabuisiert und unterdrückt werden, hat u.a. mit gesellschaftlichen Strömungen wie der „toxischen Positivität“ zu tun. Nur positive Gefühle gelten hier als Erfolgsgarant für ein glückliches und zufriedenes Leben. Es herrscht eine unglaubliche Anspruchshaltung, nur Positives zu erleben, immer gut drauf zu sein und sich immer nur gut zu fühlen. 

Das Problem ist, dass Gefühle der authentischste Ausdruck unseres inneren Selbst sind.
Wenn wir die „schlechten“ Gefühle nicht haben wollen, dann drücken wir sie weg (verdrängen, verleugnen sie) und verlieren damit zunehmend den Kontakt zu uns selbst.
Hinzu kommt, dass verdrängte/verleugnete Gefühle nicht weg sind – sie wirken in uns weiter, bauen Druck im Innern auf, sodass der Organismus zunehmend mehr Energie benötigt, diese Gefühle unter der Oberfläche zu halten: Ein Nährboden für psychische/psychosomatische Erkrankungen.

Was ist denn jetzt genau das Gute an negativen Emotionen wie Angst, Wut, Niedergeschlagenheit, Langeweile usw.?

Zum Beispiel Angst: Jeder Organismus reagiert auf Bedrohung, um zu überleben. Werden Signale, die von außen oder aus dem Körperinneren kommen, als Bedrohung detektiert, dann erfolgt eine Angstreaktion in Form einer Kaskade von Nervenzellschaltungen. In Kürze ausgedrückt bringt uns die Angst bei Gefahren dazu, Energie bereitzustellen, den Fokus zu schärfen, den gesamten Organismus „hochzufahren“, um Herausforderungen/Krisen/Bedrohungen zu bewältigen. Das fühlt sich sehr stressig an (wer erinnert sich nicht, wie er sich kurz vor einer Prüfung gefühlt hat?), kann aber auch zu Spitzenleistung führen. Das Yerkes Dodson-Gesetz besagt, dass maximale Leistung bei mittelgradigem Stress erreicht wird – und der ist schon unangenehm spürbar.

Auch Wut – als weiteres Beispiel – ist nicht „schlecht“. Wut ist schlichtweg „Information in kurzer Zeit“! Da hat jemand eine rote Linie überschritten oder man ist unfair behandelt worden, irgendetwas passt gerade nicht. Wenn jemand wütend wird, dann gibt es etwas, das ihm wichtig ist. Wir empfinden negative Emotionen, wenn es uns oder wenn es für uns wichtig ist!

Alle Gefühle machen Sinn, sind ein Teil von uns und machen uns aus – auch die negativen!
Unser Organismus will uns nicht mit negativen Emotionen bestrafen, sondern uns wichtige Signale senden, um uns zu schützen. Diese Signale helfen uns, unsere Bedürfnisse wahrzunehmen. Negative Gefühle müssen sehr fein wahrgenommen, ernst genommen und wertgeschätzt werden. Darüber hinaus sollten sie am besten differenziert benannt und dann analysiert werden, um das, was gerade nicht passend ist, wieder passend zu machen.

„Es geht nicht darum, die Gefühle aus dem Kopf zu bekommen oder sie darin zu verstecken, sondern darum, sie mit Akzeptanz zu durchleben.“
(Carl R. Rogers)

Kontakt
WordPress Cookie Plugin von Real Cookie Banner