Die Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) in Leistungs- und Entschädigungsverfahren

Die PTBS ist keine unbekannte psychische Störung mehr. Im Gegenteil, die Erkenntnis, dass schwerwiegende Belastungen psychische Störungen verursachen können, ist heutzutage allgemein bekannt. Und noch mehr: In den letzten Jahren wird die PTBS zunehmend mehr in Leistungs- und Entschädigungsverfahren geltend gemacht. Dabei fällt in der Praxis auf, dass häufig allein das Vorliegen eines potentiell belastenden Ereignisses und das Beklagen von psychischen Belastungen zur Diagnose PTBS führt. Dies reicht jedoch bei Weitem nicht aus.

Was ist eine PTBS?

Für die Diagnose einer PTBS müssen gemäß den gängigen Diagnosesystemen (ICD-10 und DSM IV) verschiedene Kriterien erfüllt sein

Ereigniskriterium: Erlebnis eines Traumas (sog. A-Kriterium)
Schon das Ereigniskriterium ist kritisch zu bewerten. Es setzt neben einem objektiven Ereignis von außergewöhnlicher Bedrohung und katastrophalem Ausmaß (bzw. potentielle oder reale Todesbedrohung, ernsthafte Verletzung oder Bedrohung der körperlichen Unversehrtheit) auch noch eine subjektive Reaktion, nämlich intensive Furcht, Hilflosigkeit und Entsetzen voraus. Hier wird deutlich, dass mit der PTBS ein Störungsbild nach Extremerfahrung beschrieben werden soll, das von alltäglicherem Erschrecken abzugrenzen ist. Allerdings herrscht mit den Definitionen in den beiden Diagnosesystemen keine eindeutige Klarheit, wann ein Ereignis hinreichend belastend ist, um eine PTBS auszulösen.

Ursprünglich wurde die Diagnose PTBS für die anhaltenden, sehr schweren psychischen Beschwerden von Kriegs- und Gewaltopfern eingeführt. Heutzutage sind mit potentiell traumatisierenden Ereignissen all diejenigen umfasst, die eine Gefahr für die körperliche Unversehrtheit der eigenen Person oder eines anderen darstellen können. Damit können z. B. auch Verkehrs- und Arbeitsunfälle potentiell traumatisierend und als Ursache für die Entwicklung einer PTBS gelten. Dabei ist der objektive Schweregrad der Belastung häufig, aber nicht unbedingt ein Vorhersagefaktor für die Entwicklung einer PTBS. Das subjektive Erleben der Bedrohung während und unmittelbar nach dem Ereignis scheint hier eine entscheidende Rolle für die Traumaverarbeitung und damit für die Entwicklung einer PTBS zu haben.

Für die Diagnose einer PTBS wird das Vorliegen von Beschwerden aus den nachfolgenden drei Symptomgruppen gefordert (im DSM IV sogar das Vorliegen einer Mindestanzahl von Symptomen).

Symptomgruppe: Intrusionen / Wiedererleben
Unter Intrusionen/Wiedererleben ist das unwillkürliche, hoch belastende Wiedererleben von Erinnerungen oder Erinnerungsbruchstücken in allen Sinnesqualitäten gemeint. Häufig werden Bilder (z. B. Waffe), Filmsequenzen (z. B. Faust kommt auf mich zu), Gerüche (z.B. Brandgeruch) oder Geräusche (Schreie) so wiedererlebt.

Symptomgruppe: Vermeidung / emotionale Taubheit
Die Symptomgruppe Vermeidung/emotionale Taubheit umfasst das Vermeiden von Orten, Aktivitäten oder Situationen, die mit dem Ereignis in Zusammenhang stehen. Ebenso werden hier auch das andauernde Gefühl von Betäubtsein und „emotionaler Stumpfheit“ sowie eine emotionale Gleichgültigkeit und Teilnahmslosigkeit gegenüber anderen Menschen und der Umwelt erfasst.

Symptomgruppe: Übererregung
Symptome der Gruppe Übererregung resultieren aus einer anhaltenden psychophysiologischen Übererregung (anhaltender „Alarmzustand“), wobei die einzelnen Beschwerden vielfältig sein können: z. B. Schlafstörungen, Konzentrationsschwierigkeiten, erhöhte Reizbarkeit und Schreckhaftigkeit. Hierzu gehört aber auch die teilweise und vollständige Unfähigkeit, einige wichtige Aspekte der Belastung zu erinnern.

Zeitkriterium: Symptome dauern länger als einen Monat
Letztendlich wird auch noch ein Zeitkriterium gefordert: Die Beeinträchtigungen dauern länger als ein Monat an (DSM IV) und treten innerhalb von 6 Monaten nach der Belastung oder nach einer Belastungsperiode auf (ICD-10). Ein späterer Beginn muss gesondert berücksichtigt und angegeben werden. DSM IV unterscheidet noch zwischen „akuten Störungsbildern“ (Dauer der Symptome bis 3 Monate) und „chronischen Störungsbildern“. Bei akuten Störungsbildern ist damit zu rechnen, dass in der Hälfte der Fälle eine spontane vollständige Remission der Symptome eintritt.

Signifikante Funktionseinschränkungen
Das DSM IV betont darüber hinaus, dass die Störung klinisch bedeutsame Beeinträchtigungen im sozialen und Berufsbereich oder in anderen wichtigen Funktionsbereichen verursachen muss.

Probleme bei Diagnostik und Begutachtung

Bei der Diagnostik und Begutachtung von PTBS müssen sämtliche Kriterien der Diagnosesysteme geprüft werden. Das ist nicht einfach, denn zum einen sind die Symptome der PTBS (bis auf die Ausnahme der Intrusionen) unspezifisch und können in ähnlichen Äußerungsformen auch im Rahmen anderer psychischer Störungen auftreten (z.B. Vermeidungs- und Rückzugsverhalten bei depressiven Störungen). Entsprechend müssen bei der Diagnostik einer PTBS konkurrierende Ursachen für die aktuellen Beschwerden ausgeschlossen werden.

Zum anderen gibt es bei der Diagnostik von psychischen Störungen keine objektiven Messdaten wie Röntgenbilder oder Blutwerte. So werden auch bei der PTBS die meisten diagnostischen Daten über Beschwerdeschilderung und Verhaltensbeobachtung erfasst, wobei schon die Verhaltensbeobachtung häufig bei der Diagnostik einer PTBS sehr stiefmütterlich behandelt, d. h. selten in adäquatem Maße genutzt wird (z.B. sichtbare physiologische Reaktionen bei Schilderung traumatischer Aspekte des Ereignisses). Dennoch ist der Diagnostiker und Gutachter nicht darauf reduziert, allein über eine Exploration des Betroffenen eine PTBS zu diagnostizieren. Über eine sogenannte multimodale Datenerhebung lässt sich eine PTBS weitaus valider diagnostizieren: Anhand von

  • Symptomschilderung des Betroffenen,
  • testdiagnostischen Daten (Fragebögen),
  • (halb-)standardisierten diagnostischen Interviews,
  • medizinischen/psychologischen und sonstigen Berichte
  • Verhaltensbeobachtung in der Untersuchungssituation,
  • Fremdanamnese: Angaben von nahestehenden Dritten, z. B. Angehörige

gilt es zu prüfen, ob die verbindlich definierten Kriterien für eine PTBS erfüllt sind.

PTBS in Leistungsverfahren

In Leistungs- und Entschädigungsverfahren wird zunehmend die PTBS als psychische Unfallfolge geltend gemacht. Andere Traumafolgestörungen werden dabei ungleich seltener angebracht, vermutlich weil sie weitaus schwieriger „eindeutig kausal“ auf den Unfall zurückgeführt werden können, weil kein „Ursachenkriterium“ vorliegen muss – wie bei der PTBS. Aber so einfach „wenn belastendes Ereignis vorliegt und Belastungen beklagt werden, dann PTBS“ darf man sich die Diagnostik der PTBS nicht machen.

In diesem Zusammenhang ist auf das sogenannte Leistungsbegehren zu verweisen: werden Entschädigungsleistungen in Aussicht gestellt, kann es nahe liegen, diese über schwer zu objektivierende und somit diagnostizierende psychische Unfallfolgen zu erhalten. Das DSM IV weist zwar klar darauf hin, dass in Entschädigungsverfahren Aggravation („bewusste Beschwerdeausweitung“) geprüft werden muss, allerdings wird dieser Aspekt häufig nur mit der Anmerkung „es liegen keine Hinweise auf Aggravation vor“ bearbeitet.

Hinzu kommt, dass die Attribution („Ursachenzuschreibung“) von psychischen Beschwerden auf ein Unfallereignis (z. B.) weit aus selbstwertdienlicher ist als auf eine andere psychische Erkrankung. Kurz: Ich gestehe mir eher zu, wegen eines Unfalles „nicht mehr zu können“, als dass ich mir klar machen muss, dass ich wegen anderer Gründe psychisch erkrankt bin.

Durch den Eindruck der „Inflation“ von PTBS in Leistungs- und Entschädigungsverfahren besteht jedoch zunehmend die Gefahr, die PTBS als Störung an sich und das schwere Leiden der Betroffenen im Besonderen nicht mehr ernst zu nehmen und sofort Aggravation oder Begehrenshaltung zu vermuten – nicht immer zu Recht.

Um diese Fehleinschätzung zu vermeiden gibt es nur einen Weg: die Diagnose und Begutachtung von PTBS mit größter Sorgfalt und mit allen zur Verfügung gestellten Mitteln und Methoden durchzuführen. Hier gilt es nicht nur die „fälschlich Positiven“ heraus zu kristallisieren (also bei Personen fälschlicherweise eine PTBS zu diagnostizieren und diese entsprechend zu entschädigen), sondern auch nicht „fälschlich negativ“ zu diagnostizieren (also fälschlicherweise keine PTBS zu diagnostizieren, obwohl PTBS vorhanden ist).

Wichtig ist, dass diejenigen, die durch ein extrem belastendes Ereignis psychische und gesundheitliche Folgen erleiden, unsere Anerkennung, qualifizierte Hilfe und die dafür vorgesehenen Entschädigungen erhalten

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