Die Stressreaktion – ein biologisches Erbe

Der Begriff „Stress“ ist heutzutage allgegenwärtig und gewinnt auch insbesondere im Bereich der Gesundheit zunehmend an Bedeutung – bei zahlreichen Krankheitsbildern wird der Einfluss von psychischem – und damit auch physiologischem – Stress auf die Entstehung und den Verlauf anerkannt und in der Behandlung berücksichtigt. Wir wollen kurz skizzieren, was sich hinter dem Begriff eigentlich verbirgt.

Biologisch betrachtet handelt es sich bei der „Stressreaktion“ um eine instinktiv verwurzelte Anpassungsleistung eines Organismus an Belastungen, die man mit „Kampf-FluchtReaktion“ beschreiben kann.

Auf Bedrohungen reagiert der Körper mit einer schlagartigen Mobilisierung, indem in kürzester Zeit ein Cocktail von Hormonen (u.a. Adrenalin, Noradrenalin, Cortisol) ausgeschüttet wird. Diese haben verschiedene Effekte auf den Organismus, die allesamt dazu dienen, den Körper optimal auf eine schnelle Bewältigung der Situation einzustellen. Wesentlich ist zunächst, dass die Leistungsfähigkeit der Muskulatur verbessert wird, wozu diese vermehrt mit Sauerstoff und Nährstoffen versorgt wird. Damit verbunden steigt die Herzleistung und der Blutdruck, die Atmung beschleunigt sich, die Bronchien weiten sich und schnelle Energiespeicher im Körper werden aktiviert. Auf der anderen Seite werden kurzzeitig „Ruheorgane“ gehemmt: die Verdauung setzt aus, aus dem Immunsystem wird Energie umgeleitet, alle Systeme, die in der Kampf-/ Flucht-Situation nicht gebraucht werden, werden kurzzeitig schnell heruntergefahren.

Daneben kommt es noch zu zahlreichen weiteren physiologischen Reaktionen, die letztlich alle der Anpassung des Organismus dienen, oder dies zumindest früher einmal taten: so ist zum Beispiel das Entstehen einer Gänsehaut ein Relikt aus der Zeit, als der Mensch noch ein Fell zum Aufstellen hatte, mit dem man Fressfeinde beeindrucken wollte.

Hieran zeigt sich beispielhaft die tiefe Verwurzelung im menschlichen Verhaltensrepertoire, die sich auch im Gehirn ablesen lässt: die Strukturen, die für diese Prozesse verantwortlich sind, sind stammesgeschichtlich wesentlich älter als die oberen Hirnschichten, die uns erst zum „ Homo sapiens“ machen. Dass Stressreaktionen vom rationalen Denken und Verstehen häufig weitgehend abgekoppelt sind, liegt dabei auch daran, dass unser Gehirn die Umwelt wesentlich schneller „emotional“ bewertet, also die Reize um uns herum hinsichtlich „gefährlich, egal, gut“ bewertet, bevor es überhaupt inhaltlich erfasst, worum es geht. Kurz gesagt: wenn es plötzlich laut knallt, erschrecken wir, auch wenn wir nicht wissen, was den Lärm verursacht, wenden uns instinktiv der Lärmquelle zu und leiten, wenn nötig, „Gegenmaßnahmen“ ein, springen zur Seite, rennen weg (Fluchtreaktion) oder stauchen einfach kurz den Idioten, der die Tür geknallt hat, zusammen (Kampfreaktion). Diese Handlungen geschehen überwiegend automatisch, was evolutionär auch sehr sinnvoll war: Hätten unsere Vorfahren bei einem Angriff eines wilden Tieres erst mal rational analysiert, welche Reaktion die effektivste darstellt und welcher Baum den sichersten Schutz bietet, hätte sich unsere Spezies wohl kaum so hartnäckig erhalten können.

In heutigen Stresssituationen zeigt sich dabei aber auch ein typisches Phänomen – sicherlich hat schon jeder einmal in einer Streitsituation nicht so reagiert, wie es aus einer sachlich-distanzierten Perspektive richtig gewesen wäre. Mit dem Ausmaß, in dem der innere Stress ansteigt, sinkt die Fähigkeit einsichtig und vernünftig zu handeln und man greift auf „primitivere“ Verhaltensweisen zurück. Das sind dann eben oft auch „kindliche“ Verhaltensmuster, die nach dem Motto „wie du mir, so ich dir“ funktionieren und die unter Umständen in eine destruktive Eskalation führen.

Stressreaktionen sind also für den Menschen typische und sehr wichtige Anpassungsreaktionen, wenngleich sich das Problem stellt, dass der moderne Mensch sich eben nicht nur mit ganz anderen „Stressoren“ (Reizen, die eine Stressreaktion hervorrufen) auseinander setzen muss, als seine Vorfahren, sondern er muss auch seine Kampf-FluchtImpulse insgesamt sozialverträglicher ausleben. Zudem erscheinen in den modernen Zeiten die alltäglichen Bedrohungen nicht so existentiell wie der Angriff eines Säbelzahntigers. Allerdings sind die Anforderungssituationen insgesamt häufiger und die Erholungszeit dazwischen kürzer.

Naheliegender Weise ist es notwendig, dass der Organismus, sobald man sich an die Belastung angepasst und sich der Bedrohung entzogen hat, in eine „Erholungsphase“ eintritt. Die psychophysiologischen Reaktionen normalisieren sich wieder, allerdings – auch ein wichtiger Punkt – etwas verzögert: die Stresshormone bauen sich nicht umgehend ab, sondern es nimmt einige Zeit in Anspruch, bis sich der innere Alarmzustand wieder gelegt hat. Auch das war evolutionär wohl vorteilhaft, denn hormonell darauf eingestellt zu sein, dass sich zu einem wilden Tier häufig noch ein zweites gesellt, war dem Überleben sicherlich zuträglich. Es ist deswegen normal, nach einer Stresssituation noch eine gewisse Zeit lang entsprechend wachsam und aktiviert zu bleiben.

Anders gestaltet es sich, wenn keine ausreichende Zeit bleibt, sich zu erholen: bei anhaltenden Anforderungen kommt es zunächst zu einer Überforderung, schließlich zur Erschöpfung und dann zum Zusammenbruch, wenn alle Ressourcen aufgebraucht sind: unsere Kapazitäten zum Kämpfen oder Fliehen sind letztlich nur begrenzt.

Der „natürliche“ Rhythmus für den Menschen ist ein Wechsel zwischen An- und Entspannung, also zwischen Bewältigung und Erholung. Dementsprechend empfinden es die meisten Menschen nicht nur als aversiv in einem Dauerzustand von aktivierendem Stress zu sein – auch eine reizarme Monotonie wird nicht nur als langweilig empfunden. Anhaltende Unterforderung führt neben einer herabgesetzten geistigen und körperlichen Leistungsfähigkeit auch zur Zunahme der Krankheitsanfälligkeit

Kontakt
WordPress Cookie Plugin von Real Cookie Banner