Alle Menschen werden mit vier psychologischen Grundbedürfnissen geboren (siehe Grawe, 1998):
1. Das Bedürfnis nach Bindung und Zugehörigkeit
Dieses Bedürfnis beschreibt unseren Wunsch nach sozialen Beziehungen, nach Nähe, Liebe und Unterstützung.
2. Das Bedürfnis nach Autonomie und Kontrolle
Dieses Bedürfnis – welches in direktem Widerspruch zu unserem Bindungsbedürfnis stehen kann – betrifft unser Verlangen danach, uns selbstständig zu fühlen, unsere eigenen Entscheidungen zu treffen und die Dinge im Griff zu haben.
3. Das Bedürfnis nach Selbstwertschutz und Selbstwerterhöhung
Dieses Bedürfnis beschreibt, dass wir alle bestrebt sind, Anerkennung zu erfahren und ein gutes Bild von uns selbst zu haben.
4. Das Bedürfnis nach Lustgewinn/Unlustvermeidung
Dieses Bedürfnis motiviert uns, Situationen aufzusuchen, in denen wir uns wohlfühlen, und solche zu meiden, in denen wir uns unwohl fühlen.
Über den Verlauf unseres Lebens hinweg differenzieren sich diese Grundbedürfnisse in eine komplexe, individuelle Bedürfnisstruktur aus, sozusagen unseren „emotionalen Fingerabdruck“. Selbst das spezifischste Motiv lässt sich jedoch durch ein wenig Abstraktion auf die vier Grundbedürfnisse zurückführen.
Die Tatsache, dass Isolationshaft (=Entzug aller vier Grundbedürfnisse) die schlimmste Strafe im deutschen Rechtssystem darstellt, verdeutlicht, von welch fundamentaler Wichtigkeit die Grundbedürfnisse für uns sind. Wenn eines oder mehrere unserer Grundbedürfnisse dauerhaft nicht erfüllt werden, kommt die Psyche erheblich aus dem Gleichgewicht. Dies kann in psychischen Störungen münden.
Das Gute: unerfüllte Bedürfnisse lassen sich kompensieren. Ist z.B. die Beziehung zu einer wichtigen Bezugsperson belastet, kann ich mein Bindungsbedürfnis über andere enge Beziehungen ausgleichen. Ist mein Selbstwertgefühl durch einen Rückschlag gemindert, kann ich mich auf einen anderen Bereich meines Lebens fokussieren, in dem ich viel Anerkennung bekomme, etc.
Auch im Arbeitsbereich können wir viel für die Grundbedürfnisse tun und damit einen enormen Beitrag zu einer menschengerechten (sprich: bedürfnisgerechten) Gestaltung des Arbeitsplatzes beitragen, z.B.:
- Klare Rahmenbedingungen (Strukturen, Prozesse, Regeln, Prinzipien und Werte)
- Geteilte Sinnausrichtung (wofür machen wir das Ganze?)
- Ausreichender Handlungs- und Entscheidungsspielraum in Relation zu den Arbeitsanforderungen
- Offene, respektvolle und vertrauensvolle Kommunikation
- Förderliche Fehlerkultur (Unterscheidung von vermeidbaren Fehlern und intelligentes Scheitern als Teil von Innovationen!)
- Nachvollziehbare Sanktionen auf schädliches Verhalten
- Gegenseitige Wertschätzung, gegenseitige Unterstützung
- Weiterentwicklungsmöglichkeiten
Wie erkenne ich meine Bedürfnisse?
Dies ist im Grunde ganz einfach: über Gefühle. Sind meine Bedürfnisse erfüllt, fühle ich mich wohl. Fühle ich mich hingegen unwohl, lohnt es sich, innezuhalten und sich die Frage zu stellen: Was fehlt mir? Was brauche ich?