Ein Gastbeitrag von Henning Olesen: Experte für Körpersprache und Mimik, Gestalttherapeut, Coach und Trainer (Olesen Kommunikation).
Der Mensch ist ein emotionales Wesen. Emotionen gehören zu uns, wir brauchen sie wie die Luft zum Atmen, und Sie bestimmen jeden Augenblick unseres Handelns. Sie prägen unser alltägliches Erleben und Verhalten. Sie sind die Grundlage für Kontakt und soziale Austauschprozesse mit anderen Personen. Über unsere Emotionen regulieren wir zum Beispiel Nähe und Distanz und sie haben eine deutliche Signalwirkung.
Im Laufe der Evolution unseres eigenen Lebens entstand in unserem Gehirn ein Emotionssystem, das jeden einzelnen Emotionsauslöser speichert. Wenn wir zum Beispiel gelernt haben, uns vor etwas zu fürchten, wird der Auslöser dafür in unserem Gehirn gespeichert und künftig automatisch verknüpft. Dieses Emotionssystem oder wie Paul Ekman es nennt, unsere emotionale Alarmdatenbank, mobilisiert unsere emotionalen Reaktionen unbewusst und in wenigen Millisekunden. Im Gesicht (unserer Mimik) werden diese Emotionen dann deutlich durch sogenannte Microexpressions.

Aus der Praxis: Angst im Gesicht.
Als Kind hat ein Klient bei bestimmten Rechenaufgaben starke Angst empfunden, weil sein Vater ihn bei falschen Lösungen rügte. In seinem Emotionssystem sind seitdem Rechenaufgaben mit Angst verknüpft. Diese Angst zeigt sich heute für ihn unbewusst und dennoch ganz deutlich in seinem Gesicht, wenn es um das Thema Zahlen geht. Dann ist zum Beispiel das Heben der Augenbraue und der oberen Augenlider in seinem Gesichtsausdruck zu beobachten. Als Vertriebsleiter muss der 45-Jährige aber wichtige Verkaufsgespräche führen. So kann es sein, dass in diesen Gesprächen seine Geschäftspartner ebenfalls unbewusst einen unsicheren Verkäufer wahrnehmen und schreiben diese Unsicherheit möglicherweise den Produkten statt der Person zu.
Ich sehe dich.
Unterdrückte oder unbewusste Emotionen hinterlassen für den Bruchteil einer Sekunde Spuren im Gesicht eines Menschen, sogenannte Microexpressions.
Diese unwillentlichen Gesichtsausdrücke sind – im Gegensatz zu den „Macroexpressions“ wie Lachen oder Weinen – nicht manipulierbar. Damit sind sie ein hervorragender Wegweiser in jedem Gespräch, weil sie unverfälschte Hinweise grundlegenden Emotionen unseres Gesprächspartners geben.
Wir erfahren jedoch nicht nur etwas über unseren Gesprächspartner, sondern auch etwas über uns selbst: Emotionen unseres Gesprächspartners sind immer auch Reaktionen auf uns als Gesprächspartner.
Ärger, Verachtung, Ekel, Freude, Angst, Trauer und Überraschung wirken oft unterhalb unserer Aufmerksamkeitsebene. Indem wir sie bei uns und bei anderen bewusst beobachten, können wir aktiv zum Gelingen von Kommunikation beitragen.
Aus der Praxis: Traurigkeit im Gesicht.
Ein Bewerber ist in der letzten Gesprächsrunde und es geht um die Entscheidung für oder gegen den Job. Während des Gesprächs zeigt sich, dass er in Richtung „ja“ tendiert, und im Gesicht des Bewerbers ist Freude zu erkennen, Erleichterung und ein wenig Stolz.
Gleichzeitig zeigt sich kurz auch deutlich eine Traurigkeit (Heben der inneren Augenbraue und das Zusammenziehen der Augenbrauen).
Bei der Rückfrage, ob er bei aller Freude und Erleichterung eventuell auch ein wenig Nähe und Kontakt verliert bei einer beruflichen Veränderung, zeigte sich wiederum Erleichterung im Gesicht des Bewerbers. Dieser sagte daraufhin, dass er bei aller Freude über den Job auch ein wenig Traurigkeit empfindet, da er sein gewohntes Umfeld verlassen wird.
Emotionsbewusstsein vergrößern.
Doch es ist nicht immer so einfach, die wahren Emotionen des Gesprächspartners zu erkennen. Wir achten auf der einen Seite auf das Verhalten unseres Gegenübers, auf der anderen Seite beschäftigen wir uns auch mit unserer eigenen Handlungs- und Gesprächsplanung. Gleichzeitig haben unser eigener Gefühlszustand, unsere Erwartungen, Überzeugungen großen Einfluss darauf, was wir an Informationen inklusive Emotionen wahrzunehmen glauben.
Die Herausforderung besteht deswegen darin, ein größeres Emotionsbewußtsein zu entwickeln und dadurch das eigene Verhalten klarer zu reflektieren und behutsam mit dem umzugehen, was wir über den Gefühlszustand anderer zu wissen glauben.
Das kann man lernen und trainieren!