Sorgen – mal förderlich, mal problematisch

Ein Beitrag von Amelie Conrad, Psych. B.Sc., HPC

Wer aktuell die Nachrichten schaut oder die sozialen Medien nutzt, kommt nicht umhin, auf lauter besorgniserregende Mitteilungen zu stoßen – die Inflation führt zu steigenden Preisen, unter den deutschen Wähler:innen wächst die Unterstützung für rechtsextremistische Parteien, in der Ukraine herrscht immer noch Krieg und der Nahostkonflikt hat eine neue Stufe der Eskalation erreicht. Auch im privaten Umfeld sind wir häufig mit Situationen konfrontiert, deren Ausgang wir schlecht absehen können: Zum Beispiel können uns Gesundheitsprobleme, finanzielle Engpässe und Konflikte in Beziehungen oder bei der Arbeit zutiefst verunsichern. In all diesen Fällen reagieren wir häufig mit Sorgen. Wir kennen alle den Zustand, dass uns ein Thema nicht mehr aus dem Kopf geht, sich die Gedanken im Kreis drehen und es uns damit schlecht geht. Doch was hat es damit genau auf sich – was sind eigentlich Sorgen, wofür sind sie da und wann werden sie zum Problem?

Sorgen werden nach Becker (2018) definiert als Gedankenketten, die sich mit möglichen bedrohlichen Ereignissen beschäftigen, die potenziell in der Zukunft eintreten könnten. Sie werden begleitet von Angst oder Anspannung. Eigentlich sind Sorgen ein Werkzeug zur mentalen Problemlösung: Wenn uns etwas belastet, aktiviert unsere Psyche viele gedankliche Ressourcen, um nach einer Lösung zu suchen. So gesehen haben Sorgen erst einmal eine positive Funktion. Sie signalisieren uns, dass etwas nicht in Ordnung ist, und können uns dabei helfen, neue Herangehensweisen an Situationen zu finden. Dennoch werden Sorgen oft als sehr belastend erlebt. In bestimmten Fällen können sie sogar als Diagnosekriterium für eine psychische Erkrankung gelten (z.B. generalisierte Angststörung). Die Frage ist also, ab wann sind Sorgen nicht mehr funktional (förderlich im Sinne von problemlösend), sondern dysfunktional (nicht förderlich)?

Sorgen können dann zum Problem werden, wenn es keine Lösung gibt – wenn man sich z.B. um den Ausgang eines Krieges sorgt, auf den man keinen Einfluss hat.

Weiterhin können Sorgen selbst zum Problem werden, wenn der problemlösende Aspekt des Sorgens aus den Augen verloren wird – dann kommt es z.B. zu sogenannten Sorgenketten. In diesen Fällen schließt sich an einen sorgenvollen Gedanken direkt der nächste an: „In den Geschäften wird alles immer teurer… Vielleicht schaffe ich es nicht, meinen Kredit abzubezahlen… Ich brauche dringend eine Gehaltserhöhung, aber ich glaube, mein Chef mag mich nicht… Was, wenn ich meinen Job verliere…“ Hinzu kommen oft sogenannte Metasorgen, also Gedanken, die nicht ein konkretes Problem, sondern die zugehörigen Sorgen selbst betreffen: „Mir schwirrt der Kopf… Ich sollte mir nicht so viele Gedanken machen… Bestimmt kann ich später wieder nicht einschlafen… Ich muss die Sorgen in den Griff bekommen, sonst machen sie mich krank.“

Für ein solches Übermaß an Sorgen gibt es typische Gründe:

  • Zum einen haben Sorgen auch hier immer eine Funktion, auch wenn es vielleicht auf den ersten Blick nicht so scheinen mag. Oft stellen sie eine Problemverschiebung vom Fühlen ins Denken dar: Wenn bestimmte Vorstellungen heftige Emotionen in uns auslösen, kann es leichter sein, sich auf gedanklicher, abstrakter Ebene mit ihnen auseinanderzusetzen, als wirklich in die bildhafte Vorstellung der befürchteten Situation hineinzugehen und die heftigen, oft als überwältigend oder gar unerträglich erlebten Gefühle auszuhalten. In diesem Sinne können exzessive Sorgen als Vermeidungsstrategie gegen quälende Gefühle verstanden werden. Das mag vielleicht etwas widersprüchlich erscheinen, da die Sorgen selbst meist auch als Qual empfunden werden. Doch letztlich ist einfach die Frage, was das „geringere Übel“ ist.
  • Zum anderen spielen ungünstige Kontrollversuche eine wichtige Rolle. Werden Sorgen als belastend erlebt, so neigen wir dazu, die betreffenden Gedanken unterdrücken zu wollen. Versuche, bestimmte Gedanken nicht zu denken, führen in der Regel aber zu sogenannten „ironischen Effekten“: Je stärker wir versuchen, einen Gedanken zu vermeiden, desto eher werden wir eben doch darüber nachdenken. Ein bekanntes Beispiel, basierend auf Wegners wegweisenden Experimenten von 1994, ist ein einfaches, aber eindrucksvolles Selbstexperiment: Versuchen Sie einmal, fünf Minuten lang nicht an einen rosa Elefanten zu denken. Die allermeisten Menschen scheitern an dieser Aufgabe, da unser Gehirn wenig mit einer solchen Anweisung anfangen kann. Denn um einen bestimmten Inhalt gedanklich zu unterdrücken, müssen wir eine Art mentales Überwachungssystem einsetzen. Dies führt paradoxerweise gleichzeitig dazu, dass der zu unterdrückende Inhalt besonders leicht abrufbar ist. Wenn wir also versuchen, sorgenvolle Gedanken zu unterdrücken, erreichen wir damit gemeinhin das Gegenteil: Anstatt uns weniger zu sorgen, werden die Sorgen noch aufdringlicher.
  • Bei besonders ängstlichen Personen können ständige Sorgen zum Normalzustand werden. In solchen Fällen stehen die körperlichen Auswirkungen der Sorgen mehr im Mittelpunkt: Häufig sind es Schlafstörungen, Verspannungen, Konzentrationsschwierigkeiten oder leichte Ermüdbarkeit, die die betroffenen Personen zu klinischen Anlaufstellen führen. Die anhaltenden Sorgen kristallisieren sich erst später als zentrales Problem heraus.

Doch was kann man tun, damit es gar nicht erst so weit kommen muss?

Die wichtigste Botschaft hierzu: Gefühle zulassen! Im Alltag und insbesondere bei der Arbeit haben unsere Emotionen mitunter keinen Raum und wir stehen unter großem Druck, einfach zu „funktionieren“. Doch zu einer gesunden Selbstfürsorge gehört es, aufkommenden Gefühlen Raum zu schaffen, und zwar auch den negativen. Gefühle haben eine Daseinsberechtigung und nehmen eine wichtige psychische Signalfunktion ein. Und auch wenn sie sehr unangenehm sein können, so gehen sie doch immer wieder vorbei. Anstatt zu versuchen, die Sorgen zu unterdrücken, kann es sich also lohnen, innezuhalten und bewusst die Emotionen wahrzunehmen, die in uns ausgelöst werden.

Hier kann Achtsamkeit hilfreich sein: Dabei geht es darum, sich auf die Gegenwart zu fokussieren und alles, was geschieht, erst mal möglichst wertungsfrei anzunehmen. Dann kann man es meist auch leichter wieder ziehen lassen. Auch Entspannungstechniken wie tiefe, ruhige Bauchatmung oder bewusste Muskelentspannung können helfen, um sich beunruhigenden Vorstellungen mit mehr Ruhe zu stellen.

Zudem kann es von Nutzen sein, sich näher mit den eigenen Metasorgen auseinanderzusetzen: Sehe ich meine Sorgen als Freund oder Feind? Es mag sich lohnen, die eigenen diesbezüglichen Einstellungen auf ihre Gültigkeit zu prüfen.


Wie immer gilt aber natürlich: Mit psychischen Belastungen muss niemand allein fertig werden. Wenn Sorgen als exzessiv und unkontrollierbar erlebt werden, so kann therapeutische Begleitung helfen, nach Ursachen zu forschen und den Leidensdruck zu verringern.

Ansonsten lässt sich zusammenfassend sagen: Es ist in Ordnung, sich traurig, ängstlich, wütend oder entsetzt zu fühlen, wenn man die aktuellen Nachrichten liest oder wenn man darüber nachdenkt, dass einem selbst oder seinen Liebsten etwas zustoßen könnte. Es ist in Ordnung, dem Raum zu geben. Andererseits ist es auch erlaubt, sich der Nachrichtenflut mal zu entziehen. Vielleicht dreht sich das eigene Gedankenkarussell dann schon etwas langsamer.

Quellen:

Becker, E. (2018). Generalisierte Angststörung. In Lehrbuch der Verhaltenstherapie, Band 2 (pp. 87-104). Springer, Berlin, Heidelberg.

Wegner, D. M. (1994). Ironic processes of mental control. Psychological review101 (1), 34.

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