Traumatische Ereignisse – auch starke Selbstheilungskräfte reichen für die Verarbeitung nicht immer aus

Schwerwiegende Ereignisse wie Naturkatastrophen, Amokläufe, Terroranschläge, aber natürlich auch medial weniger markante, individuelle Ereignisse wie Unfälle oder Überfälle, die mit einer unmittelbaren Todesgefahr verbunden sind, können bei direkt Betroffenen und auch bei Zeugen dieser Ereignisse erhebliche anhaltende negative psychische Folgen auslösen. Durch die Konfrontation mit einer extrem bedrohlichen Situation und der gleichzeitigen massiven Überforderung der Bewältigungsmöglichkeiten können bei Betroffenen Zustände von Todesangst, Hilflosigkeit, Kontrollverlust und völliger Preisgabe entstehen. Sie können eine psychische Verletzung erleiden, eine andere Bezeichnung wäre die eines „psychischen Traumas“.

Man schätzt, dass in der Allgemeinbevölkerung ca. 80 % aller Menschen im Laufe ihres Lebens einmal mit einem solchen Erlebnis konfrontiert werden, wobei der Großteil der Betroffenen dieses ohne bleibende Beeinträchtigung verarbeiten kann. Dabei ist es völlig normal – und auch gesund und sogar in einem gewissen Maß notwendig -, dass man in der unmittelbaren Zeit nach der Konfrontation mit einem solchen Ereignis auch auf ungewöhnliche Weise reagiert. Beschwerden wie eine anhaltende Übererregung mit verschiedenen Stresssymptomen, sich aufdrängende belastende Erinnerungen an die Situation oder auch Vermeidungsverhalten, sind typische Reaktionen, die man bereits als Teil der Verarbeitung verstehen kann. Die menschliche Psyche verfügt in der Regel über starke Selbstheilungskräfte, die es den meisten Betroffenen ermöglichen, sich nach einer gewissen Zeit zu erholen und das Erlebte hinter sich zu lassen. Natürlich können schlimme Ereignisse unser Leben verändern, auch die Art, wie man sich selber und die Welt sieht, sie müssen einen aber nicht brechen. Gleichwohl ist aber die Rate derer, die sich nicht erholen können und eine bleibende Traumafolgestörung entwickeln, nicht unerheblich.

Eine Vielzahl von Faktoren beeinflusst, ob sich bleibende Folgestörungen entwickeln. Hierbei erweist sich das weit verbreitete Vorurteil, dass nur „labile“ Menschen solche Erlebnisse nicht verkraften können, als falsch. Vielmehr ergibt sich das individuelle Risiko aus:

  • Merkmale des Ereignisses: Je schwerer das Ereignis, d.h. je länger es andauerte, je intensiver die Lebensbedrohung und je stärker das Ausmaß an Verletzungen, desto höher ist die Gefahr einer bleibenden Traumatisierung. Gleichfalls ungünstig wirkt sich aus, wenn das Ereignis von anderen Menschen zu verantworten ist oder wenn sogar eine absichtliche Schädigung vorliegt, wie es beispielsweise bei Vergewaltigungen oder anderen Gewaltverbrechen der Fall ist.
  • Merkmale der betroffenen Person: Studien zeigten, dass das Risiko für eine Traumafolgestörung durch vorherige erlebte Traumata oder frühere psychische Störungen, Belastungen in der Kindheit oder eine instabile psychosomatische Gesamtverfassung, steigt.
  • Reaktionen während und nach dem Ereignis: Je stärker eine subjektive Todesangst und das „Sich-Aufgeben“ erlebt werden, desto größer die Gefahr einer bleibenden Traumatisierung. Gleichfalls relevant ist, in welchem Ausmaß in der Situation Bewusstseins-, Wahrnehmungs- und Gedächtnisleistungen beeinträchtigt werden (Dissoziation s.u.), in welchem Ausmaß Schuldgefühle, Grübeln, Ärger und Zorn auftreten und wie stark die psychische Erstreaktion unmittelbar nach dem Ereignis ausfällt.
  • Umweltreaktionen: Hier stellen in der Folge v.a. das Ausbleiben fremder Hilfe und fehlende soziale Unterstützung Risikofaktoren dar, ebenso wie andere Zusatzbelastungen und ein ständiges erinnert werden an das Geschehen (Triggerung).

Es muss noch einmal betont werden, dass es nichts mit Versagen, Scheitern oder Labilität zu tun hat, wenn ein Mensch infolge eines katastrophalen Ereignisses anhaltende Beeinträchtigungen oder eine Traumafolgestörung entwickelt. Es hat etwas damit zu tun, dass eine Reihe von Risikofaktoren ungünstigerweise zusammentreffen.

Die bekannteste Traumafolgestörung ist die Posttraumatische Belastungsstörung, aber es können sich auch noch eine Vielzahl von anderen Störungen infolge des traumatischen Ereignisses entwickeln, wie zum Beispiel die Anpassungsstörung, Depressionen, Angststörungen, Substanzmissbrauch usw.

Für die Verarbeitung traumatischer Ereignisse braucht die Seele vor allem Zeit – analog einer körperlichen Wunde, die ja auch nicht von einer Stunde auf die andere verheilt. Wir sprechen hier von Wochen und einigen Monaten. Das Auftreten von Symptomen in dieser Verarbeitungszeit sind normale Reaktionen auf ein „verrücktes“ Ereignis.

Professionelle Hilfe sollte auf jeden Fall dann gesucht werden, wenn

  • die Symptome sehr stark sind und/oder nicht innerhalb von zwei- bis drei Wochen spürbar nachlassen oder sich sogar verstärken
  • die Symptome nach etwa acht bis zwölf Wochen nicht spürbar abgeklungen sind und/oder andere starke Risikofaktoren vorliegen.

Was wichtig ist: Verarbeitung bedeutet nicht, das Ereignis zu vergessen, zu verdrängen oder ungeschehen zu machen. Verarbeitung ist ein Prozess, der dann abgeschlossen ist, wenn der Betroffene sich das Ereignis wie eine normale Erinnerung vergegenwärtigen kann, ohne aktuell in seiner Lebensführung beeinträchtigt zu werden.

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