Die Entwicklung eines positiven Selbstbildes

Der Begriff „Selbstbild“ beschreibt in der Psychologie den Aspekt, welche Vorstellungen ein Mensch von sich und seiner Persönlichkeit hat, aber auch, welche Gefühle er sich selbst gegenüber hegt. Solchermaßen ist ein Selbstbild mit dem für das Erleben und Verhalten so zentralen Selbstwertgefühl eng verknüpft. Dieses Bild von sich selbst unterliegt natürlich einer lebenslangen Entwicklung. Die Erfahrungen, die man macht, die Rückmeldungen, die wir von anderen über uns bekommen (Fremdbild), aber auch die Frage, wie man denn sein will (idealisiertes Selbstbild) beeinflussen das Selbstbild. Hier wollen wir einen Blick darauf werfen, welchen Einfluss die ersten Lebensjahre haben.

Die Entwicklung eines Selbstbildes beginnt schon in frühester Zeit unseres Lebens, nämlich mit unseren ersten Beziehungs- und Bindungserfahrungen. Da bekanntlich schon vorgeburtlich eine Bindung besteht, beginnt die Entwicklung unseres Selbstbildes eigentlich schon im Mutterleib. Direkt nach der Geburt startet ein biologisches Programm der Bindungssuche. Als Baby sind wir völlig hilflos und ausgeliefert, deswegen müssen wir Bindungen suchen, die uns schützen, hegen und versorgen. Das sichert unser Überleben als Baby. Hat sich eine sichere Bindung zu unseren ersten Beziehungspersonen (Eltern) entwickelt, kann die Bindungssuche normalisiert werden und das nächste biologische Programm, die „Exploration der Welt“, gestartet werden, immer mit dem sicheren Schutz einer tragfähigen, stabilen und positiven Bindung.

Über diese ersten Beziehungen erfährt das Kleinkind auch etwas über sich, alleine dadurch, wie die Eltern mit ihm umgehen. Das Kleinkind erhält über das Verhalten der Eltern im Umgang mit ihm ein Bild über sich selbst. Da das Kleinkind neurologisch noch nicht in der Lage ist zu reflektieren, werden die Bilder, die die Eltern dem Kind über sich vermitteln, völlig ungeprüft und unreflektiert übernommen. Der Mensch wird „geprägt“. Die Grundlage unseres Selbstbildes ist also eigentlich ein Fremdbild.

Läuft alles gut – sind die ersten Beziehungserfahrungen positiv, tragfähig, liebevoll und schützend – übernimmt das Kind auch die entsprechenden positiven Bilder über sich und entwickelt ein Gefühl, unbedingt wertvoll zu sein, also, einen positiven Wert als Mensch an sich zu haben, unabhängig von Bedingungen. Auch wenn es mal als Kind in seinem Verhalten nicht „der Norm genügen sollte“, rüttelt das nicht an diesem Grundgefühl wertvoll zu sein. Mit einem solchen positiven Fundament kann das Kind im Entwicklungsverlauf „offen“ für weitere und neue Beziehungserfahrungen sein (Kindergarten, Schule etc.).

Sind die ersten Beziehungserfahrungen unsicher, ambivalent oder sogar völlig chaotisch (desorganisiert), erlebt das Kind in den ersten Beziehungen Ablehnung, Entwertung, Unsicherheit, Vernachlässigung, Misshandlung etc., dann übernimmt das Kind auch die entsprechenden negativen Selbstbilder. Es erlebt nicht, einen Wert an sich zu haben, sondern nimmt sich schlimmstenfalls als „schlecht“, „böse“, oder beispielsweise als eine „Belastung“ wahr. Wenn es wahrnimmt, dass es den Bezugspersonen nichts wert ist, so wird es sich selber auch eher als „wertlos“ empfinden. Oftmals entwickelt sich auch das Gefühl, nur einen bedingten Wert zu haben: Nur wenn es beispielsweise brav oder ruhig ist, eigene Bedürfnisse zurückstellt oder etwas Besonderes leistet, erlebt es sich als „gut“ und „wertvoll“.

Diese ersten basalen Selbstbilder, die ja ungeprüfte verinnerlichte Fremdbilder unserer Eltern sind, bilden das Fundament, auf dem sich dann die differenziertere Selbstwahrnehmung und auch unser Verhalten entwickelt.

Die Psychologen werden häufig kritisiert, dass sie alles auf die früheste Kindheit zurückführen. Leider ist es in der Tat so, dass die ersten 6 oder 7 Jahre unseres Lebens enorm prägend für den gesamten Lebensverlauf sind. Die grundlegenden „Voreinstellungen“ beeinflussen, mit welchem Selbstbewusstsein wir die Welt erkunden und wie die Erfahrungen, die man macht, sortiert und bewertet werden. Ein negatives Selbstbild führt in der Regel dazu, dass man die Welt weniger „offen“ erkundet. Haben Menschen ein negatives Selbstbild, dann werden schwierige Situationen, Kritik, Versagen etc. als Bestätigung des verinnerlichten Bildes erlebt.

Studien zufolge sind 30% der Kinder nicht sicher gebunden, d. h. die Bindung dieser Kinder an ihre Eltern ist eher von Unsicherheit geprägt als von Vertrauen. Hier ahnt man schon, welche Auswirkungen dies für das spätere Erwachsenenalter im Hinblick auf Selbstwertgefühl, Beziehungsfähigkeit, Befindlichkeit, Wohlbefinden, Lebensqualität, Gesundheit etc. haben kann.

Was hilft hier? Natürlich können spätere – positive – Beziehungserfahrungen einen korrigierenden Effekt haben. Erleben wir im weiteren Verlauf gute, tragfähige, wertschätzende, liebevolle und schützende Beziehungen, können die alten Erfahrungen überlagert werden (wenngleich sie auch nicht ausgelöscht sind und in frustrierenden oder ablehnenden Erfahrungen immer wieder aktiviert werden können). Doch ist dieses nicht immer so leicht möglich: Leider ist es für einige „unsicher Gebundene“ nicht ganz einfach, offen für neue, positive Erfahrungen zu sein.

Erlebt das kleine Kind gravierende Unsicherheit, Ablehnung oder sogar (Lebens-) Gefahr durch Vernachlässigung, Misshandlung usw., entwickelt es „harte Panzer“ um sich herum, um sich vor den „vernichtenden“ Verletzungen zu schützen. Diese „harten Verpanzerungen“ können das Überleben in der frühen unsicheren, gefährlichen bis hin vernichtendem Umgebung sichern. Die Verletzungen prallen am Panzer ab.

Nur ist es so, dass dieser an sich gute Schutz des Panzers von außen nichts mehr eindringen lässt, aber auch von innen (sprich Gefühle) nichts mehr nach außen lässt. Dieser frühe Schutz der Verpanzerung funktioniert nie einseitig. Diese emotionale Abschottung wirkt immer gleichermaßen von außen nach innen und von innen nach außen. Diese frühe (wichtige!) Abwehr wird dann häufig ins Erwachsenenalter mit hineingetragen und sehr häufig unreflektiert aufrechterhalten. Das behindert eine nötige Offenheit für neue und gute Beziehungserfahrungen.

Hier hilft dann nur noch, sich mit der eigenen Geschichte auseinanderzusetzen, die sich zwar nicht mehr ändern lässt, aber frühere Schmerzen, Ängste, Verletzungen können in jedem Lebensalter nachfolgend verarbeitet werden. Empfehlenswerter Weise mit professioneller Unterstützung!

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